- Verkehr: Neue Denkansätze
- Verkehr: Neue DenkansätzeDie Verkehrsprobleme der Zukunft werden sich auch durch die ausgeklügeltsten technischen Konzepte nicht lösen lassen. Denn allein auf den bundesdeutschen Straßen soll der Güterverkehr bis zum Jahr 2010 um rund 80 Prozent im Vergleich zu 1991 zunehmen. Obendrein lehrt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, dass solche Verkehrsprognosen regelmäßig überschritten, aber praktisch nie unterschritten werden.Da bereits heute keine Flächen mehr für neue Trassen zur Verfügung stehen, weiß niemand so genau, wo dieser Verkehr eigentlich stattfinden soll. Obendrein gibt es für Lkw nach wie vor keine praktikable Abgasentgiftung. Weil zudem die 500 Millionen Autos auf dem Planeten Erde bereits heute für ein Viertel der Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid verantwortlich sind, scheint auch aus Sicht der Ökologie eine solche Zunahme des Transports untragbar.Die Prognosen für die weitere Zunahme des Personenverkehrs liegen zwar deutlich unter denen des Güterverkehrs. Aber auch sie sind höher als die Entlastungen, die der Einsatz moderner Elektronik oder alternativer Antriebe in absehbarer Zukunft bringen wird. Auch in diesem Bereich werden also die Staus eher zu- als abnehmen, die Situation auf den Straßen wird sich insgesamt weiter verschlechtern. Die Konsequenz aus dieser Entwicklung kann im Grund genommen doch nur heißen: Neue Techniken verschaffen allenfalls eine Atempause. Der Verkehr des 20. Jahrhunderts war eindeutig geprägt vom Auto, das die Menschen weltweit in seinen Bann gezogen hat und immer wieder zum Kultobjekt wurde. Doch jetzt, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, zeigen sich die Grenzen der automobilen Fortbewegung. Dringend notwendig sind daher völlig neuartige Verkehrskonzepte, um langfristig die Mobilität zu sichern, die den Menschen so wichtig erscheint.Verlorene AbwehrschlachtUmdenken fällt schwer, auch in der Verkehrspolitik. In den meisten Städten und Ballungsgebieten ähnelt die Straßenplanung einer verzweifelten Abwehrschlacht gegen die ständig wachsende Autolawine. Zwar waren einzelne Maßnahmen durchaus von Erfolg gekrönt. Langfristig aber haben sie dazu geführt, dass immer größere Entfernungen immer schneller überwunden werden konnten. Die Bewohner der Städte haben diese Situation meist schnell erkannt und ausgenutzt, viele von ihnen zogen ins Grüne, also in zunehmende Entfernung von ihrem Arbeitsplatz. Man konnte sich das problemlos leisten, weil man auf neuen Straßen schneller fahren konnte und daher auch bei größerer Distanz nicht länger in die City brauchte als früher. Da aber viele Menschen so handelten, zerstreuten sich die Siedlungsräume weiter, der Verkehr nahm dementsprechend zu — und plötzlich stand man auf der Schnellstraße ebenfalls im Stau.Ein neuer Engpass war entstanden, und rasch ließen die Verkehrsplaner eine neue Straße bauen, um auch diesen »allerletzten« Engpass vollends zu beseitigen — doch damit begann der Kreislauf meist von vorn. Dem Ruhrgebiet bescherte dieses Denken ein so dichtes Autobahnnetz, dass zwischen einer Schnellstraße und der nächsten parallel verlaufenden Autobahn oft keine zehn Kilometer mehr liegen. Ein Blick auf die täglichen, oft kilometerlangen Verkehrstaus im Revier aber beweist: Trotz dieser sehr hohen Straßendichte haben die Planer die Abwehrschlacht gegen die Autolawine eindeutig verloren.Bereits in den 1960er-Jahren war klar, dass Stadt und Auto nicht gut zusammenpassen. Weil in den Jahren des Wirtschaftswunders das Auto jedoch für den Gewinn von Freiheit und Wohlstand stand, konzipierte man Ringstraßen und Stadtautobahnen, mit denen die Lebensqualität drastisch eingeschränkt, der Stau aber nur ein paar Kilometer weiter verlagert wurde.Das bundesdeutsche Autobahnnetz entstand nach Vorstellungen, die aus dem Dritten Reich stammten. Wie tief dieses Denken in den Köpfen verwurzelt ist, beweist die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Ähnlich wie bei Hitlers Verkehrsstrategen entstanden zu Beginn der 1990er-Jahre auf dem Reißbrett Autobahnen überall dort, wo die Autobahndichte noch nicht hoch genug schien. Selbst wenn Verkehrsexperten der Automobilindustrie (die kaum als Autogegner bekannt sind) Zweifel an solchen Projekten äußern und kleinere Straßen an Stelle vierspuriger Autobahnen für ausreichend halten, wird am Denken des »Lückenschlusses« festgehalten.In unseren Städten ist im Prinzip für das Auto überhaupt kein Platz mehr vorhanden. Dies beweist ein schlichter Vergleich. So beansprucht ein Personenauto zwischen zehn und zwölf Quadratmeter Abstellfläche sowie ungefähr 100 Quadratmeter Fahrbahn. Im Durchschnitt ist das Auto aber mit weniger als zwei Personen besetzt. Dies bedeutet: Der Pkw benötigt deutlich mehr Fläche als die darin fahrenden Personen laut Statistik an Wohnraum beanspruchen.Will man die Verkehrsprobleme moderner Städte lösen, gibt es zwei mögliche Auswege: Entweder man reißt die Siedlung komplett ab und schafft endlich so viele Straßen, dass der Verkehr ohne Stau fließen kann, oder man verringert den Verkehr. Die erste Lösung, die völlige Anpassung der Stadt an das Auto, will wohl niemand realisieren. Also bleibt nur die umgekehrte Lösung: die Anpassung des Verkehrs an die Stadt.Umstrukturierung als AlternativeDer Versuch, den Verkehr in Zukunft so zu strukturieren, dass er sich an die Gegebenheiten der Stadt und ihrer Bewohner anpasst, bedeutet: Wir müssen weniger Auto fahren und mehr den öffentlichen Personennahverkehr in Anspruch nehmen; vor allem aber müssen wir häufiger das Fahrrad benutzen und wieder mehr zu Fuß gehen. Eine automatische Verschlechterung der Lebensqualität, die viele Menschen befürchten, bedeutet das aber nicht. Denn die Mobilität muss sich dadurch keineswegs verändern. Das beweist der Blick in die Vergangenheit: Die Nutzung der Technik, sei es als Auto, Zug oder Flugzeug, hat zwar ständig die zurückgelegten Entfernungen vergrößert, doch im Durchschnitt haben sich die Fahrzeiten für die klassischen Wegstrecken wie von der Wohnung zum Arbeitsplatz nicht verändert. Damit ist auch die Mobilität gleich geblieben, während gleichzeitig die Lebensqualität durch die negativen Auswirkungen der modernen Technik wie Abgase, Lärm und Unfallgefahr spürbar verringert wurde.Umgekehrt sollte daher auch die Mobilität gleich bleiben, wenn der Verkehr unter Einsatz von Technik zugunsten von Fahrradfahrern und Fußgängern zurückgeht. Dazu müssten allerdings einige Entwicklungen rückgängig gemacht werden, die vor allem durch die Priorität des Autos entstanden sind.Arbeit und Wohnen verflechtenModerne Technik hat die heutige Entflechtung von Wohnen und Arbeiten erst ermöglicht. Schon früher wollte niemand direkt neben einer lärmenden Schmiede wohnen, also hielten unsere Vorfahren lieber ein paar Fußminuten Abstand ein. Je größer aber die Fabriken wurden und je weiter die Verschmutzung der Umgebung um sich griff, umso größeren Abstand wollten die Menschen von der Arbeitsstätte halten. Das Auto und mancherorts auch der Zug ermöglichten ihnen eine ausreichende Distanz, ohne dass die Zeit für den Arbeitsweg sich verlängern musste.Inzwischen aber hat sich die Situation erneut verändert. Anstelle lärmender Maschinen sind vielerorts leise Dienstleistungsbüros getreten. Während eine Dampframme in der Nachbarschaft die Wohnqualität klar beeinträchtigt, tut das ein Dienstleiter wohl kaum, der auf seiner Computertastatur tippt oder mit einem Kunden telefoniert. Aus heutiger Sicht ist die weit verbreitete Trennung zwischen Arbeit und Wohnen in vielen Berufsfeldern überflüssig geworden.Diese strikte Trennung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem in den Großstädten und in den Ballungszentren zu einer gewaltigen Verkehrslawine geführt. Ein Umdenken in der Verkehrspolitik setzt demnach unter anderem auch neue Richtlinien für das Aufstellen von Bebauungsplänen voraus. Anstelle der reinen Wohngebiete, die zu Schlafstätten veröden, und der reinen Gewerbegebiete, in denen nach Geschäftsschluss die Gehsteige hochgeklappt werden, sollten wieder gemischte Bebauungen treten.Datenverbund anstelle von VerkehrDas Ausweisen von neuen Mischgebieten mit Wohnhäusern und lärmarmen Gewerbebetrieben ist aus Sicht der Stadtplanung sicher ein richtiger Weg. Allerdings lässt sich das Verkehrsproblem dadurch nur langfristig lösen. Denn genau wie es eine ganze Reihe von Jahren gedauert hat, bis die Menschen von den Stadtzentren aufs Land gezogen sind, wird es etliche Jahre dauern, bis sich die zersiedelten Strukturen wieder verdichtet haben, sodass Wohn- und Arbeitsstätten räumlich wieder näher beieinander liegen. Außerdem wird wohl niemand gerne bereit sein, das Haus im Grünen gegen ein Domizil in der City einzutauschen, wenn das Stadtzentrum erst auf dem Weg zu einer »neuen Urbanität« ist.Viel schneller würde dagegen eine andere Maßnahme wirken, die obendrein dem Bedürfnis vieler Menschen nach mehr Freizeit entgegen käme, ohne zugleich die Arbeitszeit zu verringern. Gemeint ist die Verlagerung von Arbeit in die Wohnung. Bei zahlreichen Tätigkeiten macht es der moderne Verbund der Datenverarbeitungssysteme schon heute überflüssig, zur Arbeitsstätte zu fahren und dort die gesamte Arbeitszeit »abzusitzen«. Die benötigten Daten kann man sich leicht über die Telefonleitung in den PC zu Hause holen. Und kein Kunde merkt, ob der Sachbearbeiter, der gerade mit ihm telefoniert, in einem Großraumbüro oder daheim im eigenen Wohnzimmer sitzt.Ein oder zwei Tage in der Woche sollten genügen, um sich mit Kollegen und Chefs zu treffen und in entsprechenden Meetings wichtige Fragen abzuklären. Diese »Konferenztage« müssen natürlich organisiert werden, was einen gewissen Aufwand erfordert.Zugleich aber wirken sie der oft befürchteten sozialen Isolierung entgegen. Und selbst während der Arbeitstage zuhause spricht genauso wenig gegen einen kleinen Telefonschwatz mit dem Kollegen wie im Betrieb. Der Berufsverkehr aber würde sich durch einen solchen Datenverbund für die entsprechende Branche deutlich reduzieren.Bessere FreizeitMit Telearbeit wäre allerdings nur ein Teilproblem gelöst. Denn stärkere Zuwachsraten als der Berufsverkehr hat inzwischen der Freizeitverkehr. Gerade in diesem Bereich aber zeigt sich das Absurde des modernen Verkehrssystems. Wenn Billigflüge den deutschen Michel zum Weihnachtsshopping nach New York locken, fragt sich jeder halbwegs nachdenkliche Mensch, wo denn der Sinn solcher Veranstaltungen liegen mag. Denn billiger wird der Einkauf selbst bei Niedrigtarifen für den Transatlantikflug sicher nicht. Und die in Manhattan angebotenen Präsente mögen zwar oft anders als ihre deutschen Gegenstücke sein, doch ob diese an das amerikanische Feeling angepassten Einkäufe immer den Geschmack des deutschen Beschenkten treffen, bleibt zumindest fraglich. An derartigen Beispielen sieht man ziemlich rasch, dass mancher Verkehr schlichtweg überflüssig ist. Bedarf dafür wird oft nur durch geschickte Werbung und niedrige Spritkosten ausgelöst.Viele Freizeitaktivitäten aber lassen sich schlecht ohne Überwindung großer Distanzen realisieren, lautet eine weit verbreitete Meinung. Zum Skifahren, so heißt es, muss man eben in die Berge fahren. Auch hier beweisen gerade die verkehrsbegeisterten Vereinigten Staaten von Amerika und Japan das Gegenteil. Seit längerer Zeit schon gibt es dort Skiabfahrten unter Dach, die mitten in der Stadt zu jeder Jahreszeit ein sicheres Wintersportvergnügen ohne große Verkehrsprobleme, ohne Wetterkapriolen und ohne Lawinengefahr ermöglichen. In die gleiche Richtung der Verkehrsvermeidung weisen in Deutschland zum Beispiel die Klettergärten, die in vielen Städten wie Pilze aus dem Boden schießen.Chilenische Äpfel und italienischer BaroloAuch der Gütertransport zeigt große Einsparmöglichkeiten. So hat jeder Deutsche in den vergangenen 20 Jahren seinen Verzehr von 640 Kilogramm Lebensmitteln im Jahr auf 700 Kilogramm um nicht einmal zehn Prozent erhöht. Gleichzeitig aber wurde für den Transport der Lebensmittel eine Steigerung von 250 auf 423 Tonnenkilometer pro Einwohner und Jahr gemessen. Der Grund für diese satte Erhöhung um fast 70 Prozent: Die Lebensmittel stammen aus immer größerer Entfernung. Wo früher noch der Lagerapfel aus der Region den Weihnachtsteller schmückte, ist es heute der frische Apfel aus Chile oder die Orange aus subtropischen Gefilden. In den Supermärkten von Flensburg gibt es Joghurt aus dem Allgäu, obwohl auf den Weiden in Schleswig-Holstein im Prinzip die gleichen Kühe weiden wie am Fuß der Alpen. Zum unübersehbaren Symbol für den weltweiten Warentransport wurden die Gütercontainer, die sich leicht von Schiffen auf Lastwagen und Eisenbahnwaggons umladen lassen und so die Transportzeiten verkürzen.Zugenommen hat durch diese Ferntransporte aber nur der Verkehr, die Lebensqualität dagegen allenfalls unmerklich. Gerade im Güterverkehr wird daher in Zukunft das Umdenken zu neuen Prinzipien des Verkehrs ansetzen. Angesichts der schlichten Unmöglichkeit, die prognostizierten Zahlen im Güterverkehr auf die Straße, die Schiene oder das Schiff zu bringen, werden Politiker hier zuerst die Bremse anziehen. Diese Bremse aber wird mit großer Wahrscheinlichkeit in Form der Energiepreise greifen. Nicht ohne Grund steht eine stärkere Besteuerung von Energie in den Programmen aller großer Parteien in Deutschland.Wird der Sprit teurer, sollte es trotzdem noch möglich sein, im Laden um die Ecke einen Barolo aus Italien oder gar einen Cabernet Sauvignon aus Chile zu kaufen. Denn die Flasche dürfte um eine Mark, allenfalls einen Euro teurer werden. Anders verhält es sich jedoch bei Massengütern wie Äpfeln aus Südamerika oder Frühkartoffeln aus Sizilien. Sie werden sich durch die erhöhten Transportkosten so verteuern, dass sie zu Ladenhütern werden. Unter solchen Bedingungen wird jeder Geschäftsmann vermehrt Produkte aus seiner Region ordern und damit gleichzeitig den Verkehr verringern.Unsichere SchätzungenEs ist müßig, darüber zu spekulieren, wie stark sich der Verkehr durch höhere Energiepreise, attraktive Freizeitangebote in der Stadt oder Telearbeit zu Hause verringern lässt oder wie stark sich der Zuwachs an Verkehr tatsächlich bremsen lässt. Denn das hängt oft sehr stark von den jeweiligen politischen Entscheidungen ab, die ihrerseits wiederum von Zufällen abhängen. Wer vermag schon zu sagen, wie stark die Energiesteuern im nächsten Jahrzehnt steigen werden oder wie viel Telearbeit im heimischen Wohnzimmer die Gewerkschaften und die Unternehmer akzeptieren werden.Sicher ist nur, dass die zukünftige Entwicklung in Richtung weniger Verkehr laufen wird, weil sonst die prognostizierte Verkehrslawine uns mitsamt unserem Wohlstand überrollen wird. Diese Verkehrslawine bedrängt den Menschen und die Natur selbst dann noch, wenn die Autos längst ausgedient haben. Die Bilder von riesigen Halden aus Schrottautos oder von Bergen aus Altreifen gehören in Deutschland zwar mehr und mehr der Vergangenheit an, doch in vielen Ländern liegt die Entsorgung von Altfahrzeugen noch im Argen und könnte stellenweise zu massiven Umweltproblemen führen. Und wenn schon der heutige Verkehr mit einer halben Milliarde Kraftfahrzeugen den Globus überlasten würde, sobald alle Länder der Erde das westliche Modell übernähmen und damit die Zahl der Autos sich weltweit auf drei Milliarden versechsfachen würde, dann würde eine weitere Zunahme des Verkehrs in Europa unweigerlich in die Katastrophe führen. Ähnlich dramatische Entwicklungen wären im Flugverkehr zu befürchten, denn auch bei ihm gehen die Prognosen von einer starken Zunahme in den kommenden Jahren aus. Verschiedene Modelle für einen sanften Verkehr, der die Mobilität und die Lebensqualität sichert, aber die Umwelt weniger belastet als heute, gibt es längst, auch wenn sie bisher noch nicht in der Allgemeinheit diskutiert werden.Vier neue Prinzipien für den VerkehrKennzeichen der neuen Verkehrskonzepte werden vermutlich vier Prinzipien sein. Nach dem ersten wird der Langsame Vorrecht vor dem Schnellen haben: Der Fußgänger wird in der Stadt gegenüber dem Radfahrer bevorzugt, dieser wiederum genießt Vorrang vor dem Auto. Auf größere Distanz wird der langsame Nahverkehr gegenüber dem schnellen Fernverkehr bevorzugt bleiben. Zwar wird es nach wie vor Geschäftsleute geben, die zu wichtigen Terminen um die Welt jetten oder mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Hamburg, Paris oder Mailand fahren. Aber sie werden genau wie seit Jahrhunderten die Ausnahme sein. Denn bereits heute stehen einem im ICE reisenden Geschäftsmann zehn »normale« Arbeitnehmer gegenüber, die sich mit der S-Bahn oder dem Auto zur täglich gleichen Arbeitsstätte begeben.Das erste Prinzip begründet das zweite. Die Nähe wird der Ferne vorgezogen werden: Statt zum Skilaufen in die Alpen fährt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Skisporthalle in der City oder am Stadtrand. Und der Apfel aus der Region wird wieder Vorrang vor dem vergleichbaren Produkt von der Südhalbkugel haben, weil er aufgrund gestiegener Transportpreise billiger ist.Das dritte Prinzip betrifft die Verkehrsmittel der Zukunft. Diese mögen im technischen Sinn sehr anspruchsvoll sein. Sie werden allerdings in geringerem Umfang als bisher aufwendige Materialien verwenden — und vor allem werden sie weniger Energie verbrauchen als die heutigen Verkehrsträger. Als viertes Prinzip wird die elektronische Vernetzung nicht nur die Kommunikationsmöglichkeiten vervielfältigen, sondern gleichzeitig den Verkehr verringern.Weder das Auto noch die Bahn oder das Flugzeug von heute werden durch diese vier Prinzipien verschwinden. Sie werden ersetzt durch Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb, mancherorts wohl auch durch Batterieautos — auf jeden Fall wird der Kraftstoffverbrauch deutlich sinken. Daneben aber wird es nach wie vor das Cabrio, den Roadster und die große Luxuslimousine für besondere Ansprüche geben. Denn die gesellschaftlichen Unterschiede werden auch in Zukunft noch vorhanden sein. Im Durchschnitt jedoch wird der Autoverkehr deutlich zurückgehen.Die Bahn wird in Zukunft wieder zulegen, das Flugzeug eher stagnieren. Allein die prognostizierten Zahlen und die Umweltbelastungen erzwingen dies. Der Nahverkehr wird über den Fernverkehr dominieren — so wie er es heute bereits tut. Wer die entsprechenden Statistiken liest, wird dies rasch bestätigen. Und auch das Flugzeug wird seinen Platz unter den Fortbewegungsmitteln haben. Nicht als Alltagsgefährt, sondern als exklusives Verkehrsmittel für besondere Gelegenheiten — genau wie heute auch schon.Zunehmen wird dagegen der nichtmotorisierte Verkehr. Im Durchschnitt könnte jeder Deutsche täglich zehn Minuten zusätzlich laufen und die gleiche Zeit Rad fahren. Dadurch würde sich sein motorisierter Verkehrskonsum gleichermaßen verringern — ohne dass seine Mobilität sinkt. Und aus medizinischer Sicht wäre diese zusätzliche Bewegung immer noch unterhalb des Niveaus, das für eine gesunde Lebensführung erstrebenswert ist.Dipl.-Chem. Dr. Roland KnauerGrundlegende Informationen finden Sie unter:Verkehr: Grenzen der MobilitätVerkehr: Elektronische Steuerung, integrierte VerkehrssystemeMotorisierung von Kraftfahrzeugen: Techniken der ZukunftAlptraum Auto. Eine hundertjährige Erfindung und ihre Folgen. Begleitbuch zur gleichnamigen Photoausstellung, Beiträge von Peter M. Bode u. a. München 51991.Gleich, Michael: Mobilität. Warum sich alle Welt bewegt. Hamburg 1998.Köberlein, Christian: Kompendium der Verkehrspolitik. München u. a. 1997.Die Mobilität von morgen. Umwelt- und Verkehrsentlastung in den Städten, herausgegeben von Siegfried Behrendt und Rolf Kreibich. Weinheim u. a. 1994.Stadt — Mobilität — Logistik. Perspektiven, Konzepte und Modelle, herausgegeben von Johann Jessen u. a. Basel u. a. 1997.Verkehr, Mobilität, bearbeitet von Agnes Bretting u. a. Hamburg 1991.
Universal-Lexikon. 2012.